Slowenien, Landeplatz Kobarid im Juni 2025. Es ist heiß und thermisch. Vor mir schießt ein anderer Pilot quer ins Landefeld. Er landet liegend – und bewegt sich nicht. Ich rufe andere Piloten zur Hilfe, gurte mich ab, wir laufen zu ihm. Er ist nicht ansprechbar, zuckt unkontrolliert. Notfall! Spätestens jetzt wünsche ich mir, dass der 1. Hilfekurs speziell für Gleitschirmpiloten, den wir als Verein durchgeführt hatten, nicht schon so lange zurück liegt. Denn ich bin nicht 100% sicher, wie ich am besten vorgehe.
Hier kommt mein Update aus dem Kurs:
1. Allgemeine Grundlagen der Ersten Hilfe
Die Kernbotschaft der Ersten Hilfe ist, „schnell, beherzt, notfalls energisch“ zu handeln und keine Angst vor Fehlern zu haben, da jede Verzögerung die Überlebenschancen verschlechtert.
1.1 Eigenschutz und Gefahrensicherung
Bevor jegliche Hilfe geleistet wird, muss der Eigenschutz gewährleistet sein. Sichert die Gefahrenstelle ab (Fremd- und Eigenschutz). Bei Gleitschirmunfällen bedeutet dies u.a., auch den eigenen Schirm zusammenzuraffen.
1.2 Notruf 112
Der Notruf sollte so früh wie möglich abgesetzt werden, idealerweise durch eine zweite Person, während die Erste-Hilfe-Maßnahmen eingeleitet werden. In allen europäischen Ländern funktioniert die 112.
Die 5-W-Fragen für den Notruf:
- Was? (Ist passiert)
- Wo? (Ort des Geschehens)
- Wieviele? (Betroffene Personen)
- Wer? (Name des Anrufers)
- Warten (Auf Rückfragen der Leitstelle)
Zusätzlich relevant für Gleitschirmflieger-Unfälle:
- Besteht Absturzgefahr?
- Welche Höhe?
- Welcher Flugberg?
- Flugrichtung?
- Abstand zum Boden?
- Schirmfarbe?
GPS-Koordinaten angeben (Handy-Funktionen zur GPS-Abrufung sollten im Vorfeld bekannt sein oder spezielle Apps wie „SOS EU ALP“ genutzt werden, die GPS-Daten direkt übermitteln können).
1.3 Bewusstseins- und Atmungsprüfung
Der Ersthelfer sollte die Person laut ansprechen und vorsichtig an den Schultern schütteln. Wenn keine Reaktion erfolgt, muss die Atmung geprüft werden. Dies geschieht, indem man sich für 10 Sekunden über den Piloten beugt, den Kopf überstreckt und die Atmung per Gehör, Gefühl am Ohr und Beobachtung der Brust wahrnimmt. Es ist wichtig, „Schnappatmung“ nicht als normale Atmung zu verwechseln. Im Zweifel ist immer so zu handeln, als sei die Atmung nicht normal.
2. Lebensrettende Sofortmaßnahmen
2.1 Reanimation (Herz-Lungen-Wiederbelebung)
Wenn der Pilot nicht atmet, muss sofort mit der Reanimation begonnen werden. Frequenz und Rhythmus: „100 – 120 Impulse pro Minute“. Dies entspricht Liedern wie „Staying alive”, „Highway to hell“ oder „Don’t stop me now“.
Zyklus: 30x Herzdruckmassage, gefolgt von 2x Beatmung.
Herzdruckmassage: Die Hände werden im untersten Drittel des Brustkorbes aufgelegt. „Drücken, drücken, drücken“ ist entscheidend, da es den noch vorhandenen Sauerstoff ins Blut pumpt. Es erfordert viel Kraft, daher sollte man sich alle 2 Minuten (oder nach ca. 4 Zyklen) mit anderen Helfern abwechseln.
Beatmung: Nach 30 Herzdruckmassagen müssen die Atemwege freigemacht werden (Kopf nach hinten neigen, Kinn anheben). Es sind zwei Beatmungen durchzuführen, entweder Mund-zu-Mund oder Mund-zu-Nase. Falls die Beatmung aus irgendeinem Grund nicht klappt, sollte zumindest die Herzdruckmassage fortgesetzt werden.
Defibrillator (AED): Falls verfügbar, einen Defibrillator zu holen. Die „Defi App“ des DRK listet solche Stellen auf.
2.2 Stabile Seitenlage
Wenn der Pilot atmet, aber bewusstlos ist, sollte er in die stabile Seitenlage gedreht werden.
3. Spezifische Szenarien bei Gleitschirmunfällen
3.1 Pilot reagiert
- Regel Nr. 1: So wenig wie möglich bewegen.
- Ansprechen, dass der Kopf nicht bewegt werden soll.
- Helm anlassen, außer bei Bewusstlosigkeit.
- Kopf fixieren!
- Handlungen immer ankündigen.
- Gut zureden.
- Fragen nach Name, Vorerkrankungen, Medikamenten, Angehörigen stellen (für Rettungsdienst).
- Keine Schmerzmittel o.ä. geben.
- Wärmeerhalt!
- Ggf. Schatten spenden oder Sichtschutz mit dem Schirm bilden.
Helm abnehmen bei Bewusstlosigkeit: Am besten zu zweit, einer stützt den Kopf, der andere nimmt den Helm in „Sägezahntechnik“ herunter.
3.2 Hängetrauma
Ein Hängetrauma tritt auf, wenn man im Baum hängt und die Blutzirkulation unterbrochen wird, was nach 20-30 Minuten zu Multiorganversagen führen kann.
- Lösung: Ins Sitzen kommen, am Ast mit Beinen abstützen.
- Ausrüstung: Eine griffbereite Schlinge (z.B. Dyneema Bandschlinge) mitführen, um die Lage zu ändern, sich an Ästen hochzuziehen oder sich am Baum zu sichern. Die Schlinge ermöglicht auch, darin zu stehen.
- Muskelbewegung: Wenn das nicht funktioniert, Muskeln so viel wie möglich bewegen, um die Zirkulation zu erhalten.
- Aufmerksamkeit: Eine Pfeife ist hilfreich, um auf sich aufmerksam zu machen.
3.3 Blutung stoppen (Druckverband)
- Verband 2x wickeln.
- Ein Päckchen oder Ähnliches als Druckpolster auflegen.
- Eng, aber nicht zu fest wickeln.
- Links/rechts schräg wickeln.
- Bei Platzwunden am Kopf: ohne Druck wickeln.
- Bei starken Blutungen am Arm oder der Hand direkten Druck auf die Wunde ausüben.
4. Rechtliche Aspekte und Schutz des Ersthelfers
In Deutschland sind Ersthelfer grundsätzlich vor zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen geschützt. Das Gesetz verlangt kein perfektes Vorgehen, sondern „nach bestem Wissen und Gewissen“ zu handeln. Die unterlassene Hilfeleistung ist hingegen strafbar.